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Neues von #DerErde – Das Venus-Paradigma

Menschlicher Weltraumschrott geht an #DerErde nicht spurlos vorbei: Sie stürzt in eine tiefe Krise ihrer Weiblichkeit. Da wünscht sie sich manchmal wie ihre männlichen Artgenossen zu sein. Oder doch nicht?

Ich weiß, ich weiß. Es ist noch Krise. Weshalb ich mich trotzdem melde? Naja. Also bislang habe ich mich ja eigentlich nicht in die Angelegenheiten der Spezies eingemischt, die sich auf meiner Oberfläche tummeln. Es hat mich nie sonderlich interessiert. Ändert sich ja nichts für mich. Wenn überhaupt, dann gibt es nur Positives daran. Ich werde beneidet von meinen Schwesterplaneten, die auch gerne so viel Farbe im Gesicht hätten wie ich. Bis weit außerhalb unseres Sonnensystems sieht man mich blitzen, wie frisch poliert, blau und weiß. Schöner als eure ach so hoch geschätzten Juwelen und Diamanten, die ich im Laufe der Zeit produziert habe.

Nun, bisher bin ich davon ausgegangen, dass sich an meinem Äußeren in den nächsten Zweitausend-Millionen-Jahren eigentlich nicht mehr viel ändert. Man könnte also fast sagen, ich habe mich an mein Aussehen gewöhnt. Als Venus vor kurzem ganz nah an meine Umlaufbahn gekommen ist, bereitete ich mich innerlich schon auf die zahllosen Komplimente vor, die sie mir für gewöhnlich spendete. Natürlich ist mir klar, dass Venus im Grunde eifersüchtig ist und sich nicht wirklich an meinem Aussehen erfreut. Aber es ist doch schön, wenn andere vor Neid erblassen. Oder etwa nicht?
Ich pendelte also gemütlich auf meiner Bahn, ließ mich von Venus bewundern, als ich plötzlich einen neuen Ausdruck auf ihrer verschrumpelten Oberfläche erkannte. Venus wirkte… ja, sie wirkte gehässig! Als würde sie sich über mein Aussehen lustig machen. Ich musste auf Nummer sichergehen. War irgendetwas anders als sonst?

Es ist eine schwierige Angelegenheit, sich selbst von außen zu betrachten, das sage ich euch. Die Spiegelungen in meiner Atmosphäre deuteten allerdings auf ein klares Bild hin. Ich bin schmutzig. Und damit meine ich nicht dreckig im Sinne von Schlamm oder Erde – das wäre ja ganz normal bei mir. Nein, man erkennt mein wunderschönes, juwelenartiges Antlitz nicht mehr. Rund um mich herum fliegt Schrott. Menschlicher Schrott! Dreck, den ihr ins All geschleudert habt und der jetzt meine wunderschöne Oberfläche von außen verunglimpft! Man hat mich mit Weltraumschrott zugemüllt!

Ich muss schön sein, weil ich weiblich bin…

Dass ich derartig eitel bin und auf mein Aussehen achte, damit hättet ihr vermutlich nicht gerechnet, oder? Dabei seid ihr ja selbst schuld. Ihr wart es doch, die mich mit einem weiblichen Artikel tituliert haben – verbunden mit den Vorstellungen einer weiblichen Erde mit weiblichen Eigenschaften und weiblicher Intuition. Ihr sprecht von Mutter Erde, eure Vorfahren nannten mich Terra mater, davor war ich die Titanenfrau Gaia – stets weiblich, durch und durch. Mit dem Geschlecht, das ihr mir verpasst habt, habt ihr mir nun mal auch eure Vorstellungen von Weiblichkeit aufgedrängt. Und in der heutigen Zeit gehört dazu ein übertriebener Sinn für Äußerlichkeiten und eine damit verbundene Eitelkeit. Dieser Trend hat sich ja von Beginn der Menschheit angedeutet, aber noch nie war er so präsent wie im jüngst ausgerufenen Anthropozän. Ich überlege mir ernsthaft, ob ich mir nicht einen Instagram-Account zulegen soll. Da kann ich dann täglich in neuen sexy Wolkenformationen posieren. Wenn da nicht der ganze Müll um mich herum wäre…

Was uns Planetinnen fehlt…

Dabei fände ich ein paar männliche Stereotypen in meiner Persönlichkeit gar nicht so übel. Das würde mir sicher weiterhelfen: Mars beispielsweise ist viel kleiner als ich, hat Bluthochdruck, eine kränkliche Atmosphäre, kein Wasser, keine Lebewesen, nicht einmal aktive Vulkane – und trotzdem spielt er sich regelmäßig auf, als wäre er der Liebling unserer Sonne. De facto ist er ein planetarer Vollversager bis auf den nackten Kern, aber seinem Selbstbewusstsein tut das keinen Abbruch. Wenn er die Mars heißen würde und nicht der Mars, oder ihr ihn nicht nach einem Kriegsgott, sondern nach Göttermutter Hera benannt hättet, dann würde er sich sicherlich nicht einmal in die Nähe der habitablen Zone trauen. Aber bekanntermaßen beflügelt die männliche Selbstüberschätzung so manchen dumpfen Geist.


Jupiter ist da übrigens keinen Deut besser. Ja, ich verstehe schon, dass schiere Größe zu überbordendem Selbstbewusstsein verleitet. Aber andererseits… Größe ist doch nicht alles, oder? Mal im Ernst: Der Kerl ist ein Gasball. Eine einzige, riesige, aufgeblasene Kugel aus Gas! Leute, der hat noch nicht einmal einen richtigen Kern! Und trotzdem hat er fast 80 Monde, die sich um ihn tummeln. Angesichts der Ignoranz seiner Verehrer ist es nur ein schwacher Trost, dass er mit seinem gierigen roten Auge dauerhaft auf mich starrt und nicht auf Venus. Aber was hilft es denn, sich aufzuregen. Es ist wirklich keine neue Erkenntnis, dass die männlichen Vertreter unseres Planetensystems ihre Schwächen entweder ignorieren oder sie gar nicht kennen. Wir Planetinnen dagegen neigen dazu, sich an ihnen abzuarbeiten. Am schlimmsten daran ist, dass wir uns so bereitwillig für das Urteil anderer über uns hergeben. Schaut euch doch nur Venus an.

Das Venus-Paradigma


Venus ist mein Schwesterplanet – oder, passender, meine Schwesterplanetin. Genau wie ich achtet sie akribisch auf ihr Äußeres: top Figur, die richtige Ellipse, Bombenplatz in der habitablen Zone. Leider hat es die Entstehung nicht so gut mit ihr gemeint. Ihre Atmosphäre ist für Leben einfach nicht gemacht, sie leidet außerdem an Hitzewallungen und zu allem Überfluss hat sich nicht einmal einen Mond, der sich für sie interessiert. Man munkelt sogar, Merkur sei vor ihr geflohen. Hinzu kommt, dass sie charakterlich etwas… nun ja, etwas schwierig ist. Venus ist rasend eifersüchtig. Immerzu neidet sie mir die Blicke von Jupiter und die Nähe von meinem Mond. Gleichzeitig macht sie mir unglaubwürdige Komplimente, wenn wir in unterer Konjunktion stehen. Ganz nach dem Motto „die Schönste hat das Sagen“, plappert sie mir nach dem Mund, wann immer es geht. Dabei versucht sie nur einen kleinen Teil der Aufmerksamkeit zu bekommen, die mir das ganze System schenkt. Deswegen auch der gehässige Ausdruck: Sie hofft, dass ich unansehnlich werde und Jupiter künftig zu ihr starrt. Dabei wäre es so viel einfacher für sie, wenn es ihr einfach egal wäre.

Der springende Punkt ist nämlich, dass Venus das Urteil der anderen über sie – seien es männliche oder weibliche Vertreter unserer Gattung – für wichtig und richtig hält. Jemand anderes urteilt über sie und sie fühlt sich dementsprechend besser oder eben schlechter. Dabei sind wir doch ohnehin schon gravitationsmäßig aneinandergebunden, da muss ich doch nicht noch mein Selbstwertgefühl von meinen Mitplaneten abhängig machen. Nein, wenn wir schon nicht voneinander ablassen können, dann möchte ich mich wenigstens auf meiner eigenen Bahn wohlfühlen können.


Was kann ich denn dafür, dass auf mir eine Spezies lebt, die noch nicht in der Lage ist, ihren Dreck hinter sich wegzuputzen? Meine Entstehung hat eben dafür gesorgt, dass ich Leben beherberge. Wer mit dem Resultat unzufrieden ist, der kann sich umdrehen und wegsehen, aber einen Vorwurf lasse ich mir nicht daraus stricken. Ich werfe Jupiter ja auch nicht vor, dass er wie durch den Wind aussieht. Und Neptuns Ring mag zwar schön sein, aber seine Imitation von Saturn ist bestenfalls ärmlich. Über Mars, den launischen Kampfzwerg, habe ich mich ja schon ausgelassen.

Die Macht ist in mir…


Ihr seht also, ich kann genauso über euch Männerplaneten aburteilen, euer Aussehen kritisieren und euch abwertende Blicke zuwerfen. Was ich natürlich nicht tue: Denn ich für meinen Teil weiß, wie sehr diese Urteile den innersten Kern treffen können, auch wenn man es von außen nicht immer bemerkt. Was wirklich zählt, denke ich, ist die innere Einstellung zu den Urteilen anderer. Ich habe es Venus schon etliche Male versucht zu erklären, aber sie will es einfach nicht verstehen.


Urteile sind Machtinstrumente. Jupiter mag Venus hässlich finden. Aber es ist Venus, die entscheidet, ob sie sich von seinem Urteil beeinträchtigen lässt oder nicht. Es ist an einem selbst zu entscheiden, welchen Urteilen man Macht über sich zugesteht. Mit weiblichen Eigenschaften hat das nichts zu tun. Insofern kann mir der Weltraumschrott der Menschen herzlich egal sein.

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Im Rahmen der Beerdigung meines Großvaters Fritz Mayr (geb. 1926) hielt ich diesen Nachruf im Andenken an meinen Opa. Als Unternehmer erreichte er große Bekanntheit über das Allgäu hinaus. Während seiner Zeit als Geschäftsführer (1965 – 2023) stieg sein Unternehmen Mayr Antriebstechnik zum Weltmarktführer im Bereich Sicherheitskupplungen und Sicherheitsbremsen in zahlreichen Branchen auf. Als Visionär, technischer Pionier, Wohltäter und Mensch wird er allen, die ihn kannten, immer in Erinnerung bleiben. Als lebensfroher, unverzagter und glücklicher Opa, der viel Liebe für seine Familie in sich trug, werde ich ihn vermissen.

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